Für die Frankfurter unter uns. Zu Äppler und grüner Soss dann bald Modelprojekt ?
Modellvorhaben:
Experten kritisieren geplante Cannabis-Verkaufsprojekte
Von
Hinnerk Feldwisch-Drentrup
18.03.2025, 17:14Lesezeit: 5 Min.
Demnächst sollen Modellprojekte zum Verkauf von Cannabis starten, so in den Städten Frankfurt und Hannover. Eigentlich sollen die Vorhaben der Forschung dienen, sehr umstritten ist jedoch der Finanzier.
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Für Millionen Menschen, die hierzulande Cannabis als Rauschmittel nutzen, gab es 2024 eine Wende: Der Bundestag hat den Eigenanbau für Erwachsene legalisiert, wie auch Klubs, die für Mitglieder Pflanzen kultivieren. Zwar sind die ersten Ernten eingefahren, doch übersteigt die Nachfrage den nicht-kommerziellen Anbau erheblich. Nach diesem ersten Legalisierungsschritt war ein zweiter geplant, nämlich regionale Modellprojekte mit kommerziellen Lieferketten und die Abgabe über Shops. Doch nun wird die kommende Regierung die Legalisierung wohl eher zurückdrehen als ausweiten.
Dennoch sollen in einigen Städten Modellprojekte zum Verkauf von Cannabis starten – ein Detail des Gesetzes wird dabei genutzt: Für Forschungszwecke ist er erlaubt. Nach der Konsumcannabis-Wissenschafts-Zuständigkeitsverordnung ist seit Ende 2024 die Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung für Begutachtung und Genehmigung zuständig.
Bis Mitte März reichten Organisationen insgesamt 24 Projektanträge ein. Bisher sind die Kriterien unklar, die sie erfüllen sollen – außer dass es des Führungszeugnisses eines sachkundigen Antragstellers bedarf, einer Adresse und Angaben zum „verfolgten wissenschaftlichen Zweck“. Forschung könne „beitragen, den Schwarzmarkt effektiv einzudämmen, die gesundheitliche Prävention auszubauen und die Debatte zu versachlichen“, schreibt das Bundeslandwirtschaftsministerium.
„Die Modellprojekte sind ein Risiko“
Einige Städte wollen bald beginnen. „Das erste Modellprojekt zum Cannabisgebrauch in Deutschland mit einer kontrollierten Abgabe von Cannabis startet 2025 in Hannover“, erklärte die Landeshauptstadt im Oktober 2024. Startzeitraum: „Anfang 2025“. Damals war noch nicht geregelt, welche Aufsichtsbehörde zuständig ist. „Uns geht es um die Anerkennung gesellschaftlicher Realitäten“, sagte Oberbürgermeister Belit Onay (Grüne), die Konsumentenzahl steige stetig – im Schwarzmarkt gebe es „erhebliche gesundheitliche Risiken durch steigende THC-Werte und Verunreinigungen“. Das Projekt solle Konsumenten enger in Hilfesysteme integrieren, Jugendschutz verbessern und den illegalen Markt verdrängen. Es wird in Kooperation mit der Stadt Frankfurt vorbereitet. Der Koalitionsvertrag der dortigen Grünen, SPD, FDP und von Volt sieht ein solches Vorhaben vor.
Wissenschaftlich koordiniert wird es von der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH) sowie der Frankfurt University of Applied Sciences. Doch die Beteiligung der Berliner Sanity Group, die die Läden betreuen und das Projekt finanzieren soll, sorgt aktuell für erhebliche Kritik. Die Firma bezeichnet sich selbst als „Europas führendes Cannabis-Unternehmen“. Im „Spiegel“ wurde jüngst kritisiert, dass MHH-Psychiaterin Kirsten Müller-Vahl das Projekt nicht nur koordiniert, sondern auch die Firma berät. In der Schweiz betreibt Letztere bereits ein solches Projekt. Sie sagt, knapp 4000 „gesunde Erwachsene“ nähmen teil, doch die Aufnahme ist nur etwa bei schwerer Krankheit, Cannabis-Allergie oder Schwangeren ausgeschlossen, demnach nicht bei mittelschweren Depressionen. Auch werden Teilnehmer befragt, nicht ärztlich untersucht.
Forscher sehen die Vorhaben insgesamt sehr kritisch. „Die Modellprojekte sind ein Risiko“, sagt der Psychiater Mathias Luderer, Leiter des Bereichs Suchtmedizin am Uniklinikum Frankfurt. „Wir wissen aus anderen Ländern, dass die Kommerzialisierung von Cannabis das große Problem ist.“ Schon die Legalisierung suggeriere, dass Cannabis nicht so schädlich sei, die Firmen wollten den Markt vergrößern. Er hält die Beteiligung der Sanity Group für einen Fehler. Sie habe „große wirtschaftliche Interessen“. So sollen Mitarbeiter geschult werden, um die Nutzer zu beraten, damit sie weniger und schadensmindernd konsumieren. „Diese Personen werden von der Sanity Group ausgebildet und angestellt. Da beißt sich die Katze in den Schwanz – die Sanity Group müsste dafür sorgen, dass weniger verkauft wird. Das ist unrealistisch.“
Umstrittene Investoren
Doch es gibt noch weitere Probleme – denn nicht nur der Moderator Klaas Heufer-Umlauf, die Fußballer Mario Götze und Dennis Aogo und eine Holtzbrinck-Firma, sondern auch Bitburger Ventures ist an der Sanity Group beteiligt – und auch die Tabakindustrie: Mit gut 16 Prozent ist British American Tobacco (BAT) über eine Tochterfirma der größte Investor. Wie andere Tabakfirmen investiert sie in den Cannabismarkt, so die kanadische Firma Organigram, die 2024 rund 15 Millionen Euro in die Sanity Group investiert hat und einen Vertreter in den Vorstand entsenden darf. Sanity-Chef Finn Age Hänsel sagte, Organigram sei auch dank der Beziehung zu BAT wohl ein Partner, „der uns dabei unterstützen wird, auf den schnell expandierenden legalen europäischen Märkten führend zu werden“.
Die Verbindung zur Tabakindustrie sei „ein großes Problem“, sagt Luderer. Sie sei sehr erfahren, Produkte zu verkaufen, die schädlich sind – und zumindest früher sehr geschickt darin gewesen, Evidenz infrage zu stellen. „Aktuell will sie ihre Produkte diversifizieren und sie den Vorgaben anpassen, daher bietet sie tabakfreie Produkte an – aber nur dort, wo es politisch unbedingt notwendig ist.“ Auch Alkoholfirmen seien hervorragend im Marketing, so mit dem Begriff des „verantwortungsvollen Trinkens“: Er wälze Verantwortung auf Einzelne ab.
Es nage an der Glaubwürdigkeit der MHH und der Frankfurter Hochschule, dass sie dennoch mit der Sanity Group kooperieren wollen, sagt Laura Graen von der Stabstelle Krebsprävention des Deutschen Krebsforschungszentrums. „Tabakindustrie-finanzierte Forschung war in der Vergangenheit oft verzerrt.“ Die Partner hätten recherchieren müssen, wenn ihnen die Verbindung unbekannt gewesen ist, und eine Grenze ziehen müssen. Die Stadt Frankfurt sagt, informiert gewesen zu sein – die Stadt Hannover und die Pressestelle der MHH ließen Fragen offen.
„Ich habe keine Einflussnahme von irgendeiner Tabakfirma feststellen können“, sagt Müller-Vahl von der MHH. In der Tat gebe es kommerzielle Interessen, doch keine Alternative zum Projekt. „Irgendjemand muss es ja bezahlen.“ Bezüglich des Vorwurf einer Doppelrolle sagt sie, sie sehe keinen Interessenkonflikt. Laut MHH war die Nebentätigkeit genehmigt, ihrer Ethikkommission sei dies bekannt, und sie habe beim Projekt keine Bedenken gehabt. Die Planungen seien weit gediehen, so Müller-Vahl, es gebe Überlegungen für Verkaufsstellen. Sie wolle, dass möglichst wenig Personen Cannabis nutzen und der Schaden minimiert werde.
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Sanity-Chef Hänsel erklärt, er kämpfe innerhalb der CDU für eine Legalisierung, seitdem er 16 war – er sieht die Projekte als Weg, um Daten zu sammeln und den politischen Diskurs voranzubringen. Es gehe der Firma nicht um großen Gewinn, sondern die Frage, ob eine Beratung zu gesünderem Konsum führe. Vielversprechend seien erste Ergebnisse aus der Schweiz. Pro verkauft em Gramm soll rund ein Euro an die Suchthilfe gehen, BAT habe „keinen direkten operativen Einfluss auf die Firma“, der Tabakkonzern sei „neutraler Finanzgeldgeber“ und habe investiert, als seine Gruppe im Bereich Medizinalcannabis aktiv war. Sie sei keine „Cowboyfirma“, die durch die Projekte versuche, ans schnelle Geld zu kommen, sagt Hänsel.
Psychiater Luderer denkt, dass deren Ergebnisse kaum überraschend sein werden. „Befragungen werden ergeben, dass die Testpersonen das Angebot begrüßen, es regelmäßig in Anspruch nehmen und dass die Qualität des Cannabis besser ist als auf dem Schwarzmarkt.“ Würden die Projekte ausgeweitet, nehme der Konsum zu. Klar ist ohnehin, dass aus der speziellen Population der Studien nicht auf die Allgemeinheit geschlossen werden kann. Und Graen vom Deutschen Krebsforschungszentrum kritisiert: „Sollten daraus Erkenntnisse für gesundheitspolitische Maßnahmen abgeleitet werden, ist es besonders problematisch, wenn die Tabakindustrie mit drinhängt.“
Derweil hat die Sanity Group einen offenen Brief koordiniert und vergangene Woche an die Bundespolitik verschickt, um sich gegen Einschnitte bei der Liberalisierung und speziell für die Modellprojekte einzusetzen. Diese böten „die historische Gelegenheit“, faktenbasierte Diskussionen und verantwortungsvolle Entscheidungen zu ermöglichen – „zum Wohle der Gesundheit und Sicherheit unserer Bürgerinnen und Bürger, zur Förderung unserer Wirtschaft und zur Wahrung unserer Innovationskraft“.
Quelle: F.A.Z.Artikelrechte erwerben
Hinnerk Feldwisch-Drentrup
Redakteur im Ressort „Wissenschaft“.